Leben zu Zeiten des Corona Virus …

Schreiben zu Zeiten der Coronaviruskrise ist ein sehr schwieriges Unterfangen. Seit Tagen versuche ich mich auf einen Text zu konzentrieren, es ist nicht einfach. Stündlich, ja fast minütlich prasseln Nachrichten von vielen Seiten auf einen ein, permanent ändert sich die Nachrichtenlage.

Es gibt so gut wie keine Nachricht, die nicht irgendwie mit dem Coronavirus zu tun hat. Ursprünglich hatte ich mir vorgenommen, einen Text zu schreiben, der nichts mit Corona zu tun hat. Aber ich glaube, es hätte mir keiner abgenommen, dass ich mir keine Gedanken zu Corona & Co. mache, und das ist auch richtig. Schon die ersten Nachrichten im Dezember aus China haben mich hellhörig gemacht und als dann die ersten Städte in China schlossen, wurde mir bewusst, es ist nur eine Frage der Zeit, bis uns das alle angeht und betrifft. Als ich im Februar Menschen aus meinem Umfeld darauf aufmerksam gemacht habe, dass auch wir mit Schließungen rechnen müssen, erntete ich viele verständnislose, teils auch fassungslose Blicke. Wie konnte ich nur so denken? 

Die Wirklichkeit hat uns schneller eingeholt, als wir es je ahnen und denken konnten, von einem Tag auf den nächsten lebten wir plötzlich in einer anderen Welt. Alle blieben zu Hause, keine Schule mehr, Arbeiten im Home-Office, wenige Ausgänge nach draußen, so gut wie keine sozialen Kontakte mehr, wenn man von den medialen Kontakten absieht. Frohlockten am Anfang noch viele unserer Mitarbeiter ob der Aussicht, von zu Hause aus arbeiten zu können, so ist nun viel Ernüchterung eingekehrt. Viele Bedingungen sind zu Hause anders als am Arbeitsplatz, die Trennschärfe vom Beruflichen zum Privaten geht verloren. Das anhaltend schöne Wetter macht die Situation nicht leichter und das Ausharren über mehrere Wochen, vielleicht sogar Monate, wird allmählich für viele Menschen zu einer Qual.

Manch einer fleht bereits um die Rückkehr zum Arbeitsplatz und auch wieder zur Normalität. Entsprechend gibt es gerade viele Diskussionen, die sich darum drehen, inwieweit man nun die Einschränkungen wieder aufheben kann. Der Wunsch ist absolut verständlich und nachvollziehbar, der Druck auf die Politik enorm. Die Menschheit kannte weltweit eine solche Form der Pandemie bisher noch nicht und entsprechend existieren keine Erfahrungswerte, auf die man jetzt zuverlässig zurückgreifen könnte. Zurzeit fahren unsere Führungseliten ihren Kurs im Blindflug, stochern im Nebel. So ist es natürlich kein Wunder, wenn es viele unterschiedliche Meinung gibt und entsprechend Kritiker.

Neben den vielen Hiobsbotschaften kreisen auch andere Informationen. Es wird viel darüber sinniert, dass die Welt „danach“ eine andere sein wird. Die Bedeutung der Lokalität wird wieder zunehmen, Mobilität wird schwerer werden, Urlaub eine andere Bedeutung gewinnen. Auch die Arbeits- und Schulwelt werden sich verändern, digitale Prozesse dort schneller und besser Eingang finden. Der bekannte Zukunftsforscher Matthias Horx beschreibt in „48 – Die Welt nach Corona“, dass die Welt „danach“ eine andere sein wird, dass das neue Normal ein anderes ist, als wir es bisher kannten. Er spricht davon, dass das „Verhältnis zwischen Technologie und Kultur verschoben“ wird, denn nicht „die Technik, sondern die Veränderung sozialer Verhaltensformen war das Entscheidende“ in der Krise. Die Menschen bleiben trotz radikaler Einschränkungen solidarisch und konstruktiv. Aus seiner Sicht obsiegt die „human-soziale Intelligenz“, und der Virus entpuppt sich als „Evolutionsbeschleuniger“.

Ich überlege und frage mich: Was erlebe ich gerade? Die Zeit jetzt erscheint für mich persönlich anstrengend. Als Vater von drei Kindern, die Home Schooling durchleiden, als Unternehmer, der nun seine unsichtbaren Mitarbeiter steuern und anleiten muss, aber auch als Vorsitzender von einigen Verbänden sind meine Künste gefragt. Die oberste Devise ist Ruhe bewahren, mit kühlem Kopf voranschreiten, viel Empathie zulassen und möglichst viel Souveränität ausstrahlen. Es ist eine spannende Zeit, aber auch eine, die sehr an den Kräften zehrt und zuweilen an die Substanz geht. In vielen Punkten muss ich zwangsläufig meinen Fokus und meine Sichtweise ändern und komme zu vielen neuen Einsichten.

Aber deswegen wird aus meiner Sicht nach Corona die Welt nicht unbedingt eine bessere, so wie sich das viele erhoffen. Noch mögen Bilder über das Hamstern von Mehl und Gabelstaplerfahrten in einem Toilettenpapierlager lustig sein, irgendwann öden sie einen an. Das Gleiche gilt für die vielen Sprüche wie #BleibGesund, #HalteDurch oder die vielen Tipps zur Selbstoptimierung, wie man völlig neu „ge-brain-ed“ und gestählt aus der Krise emporsteigt, wie einst Phoenix aus der Asche.

Manche Dinge, von denen ich glaubte, sie seien unverzichtbar, entpuppen sich als entbehrlich. Menschen, von denen ich glaubte, sie seien wichtig und unersetzlich, sind nicht mehr da. Masken fallen. Wir werden bestimmte Verbindungen oder Kontakte neu bewerten und kappen, weil sie von uns nicht mehr als sinnstiftend, sondern mehr als Zeitfresser wahrgenommen werden. Wir werden viel mehr darauf achten, was uns wirklich nützt und hilft. Viel heiße Luft und Blubberblasen lösen sich allmählich, die Sicht wird klarer, die Gedanken auch. Fokussieren auf das Wesentliche fällt nun leichter.

Und es gibt da noch was … mit Anbeginn der Krise steht urplötzlich die Gebärdensprache viel mehr im Blickpunkt. Angefangen hat es mit den immer häufiger werdenden Ausstrahlungen von Regierungsverantwortlichen, um zur aktuellen Nachrichtenlage zu berichten. Im Gegensatz zu anderen Ländern blieb es In Deutschland so, wie es immer war. Diese Ausstrahlungen waren für hörbehinderte Bürger nicht barrierefrei. Es wurden keine Untertitel und auch keine Gebärdensprache eingeblendet. Die Deaf Community ließ sich das nicht gefallen. In vielen diversen Aktionen wurde dagegen protestiert. Ein virales Video machte den Anfang, setzte seinen Weg durch die sozialen Medien, eine Petition wurde gestartet, Journalisten hakten bei Pressekonferenzen nach, im Bundestag wurde plötzlich die fehlende Gebärdensprache angeprangert. Binnen weniger Tage zogen mehr und mehr Behörden nach, allen voran das Robert Koch-Institut (RKI), bei welchem man sogar live im Fernsehen die Gebärdensprachdolmetscherin sehen konnte.

Gebärdensprache fällt jetzt viel mehr auf. Es gibt in den Sozialen Medien viele kleine Video-Clips, die Ausschnitte mit den Gebärdensprachdolmetschern zeigen. Eines der bekanntesten ist der Clip aus dem niederländischen Fernsehen, in dem man die Dolmetscherin das „Nicht hamstern“ gebärden sieht, mit aufgeblasenen Backen und dem schnellen Grapschen nach Dingen. Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 25. März in dem Artikel „Stille Helden“, dass „die Aufforderung ‚Nicht hamstern!‘ (…) so viel eindringlicher (ist), wenn eine Gebärdensprachdolmetscherin sie übersetzt.“ In einem anderen Video hat ein Minister den Ausdruck „Nicht hamstern“ verwendet, sich schelmisch lächelnd umgedreht, auf die Gebärdensprachdolmetscherin gezeigt und dann gelacht, als er die Gebärde dazu erkannte. Das war so schön anzusehen und so sympathisch.

Viele Hörende klopfen mir auf die Schulter und verweisen auf die Gebärdensprachdolmetscher, sagen: „Das ist toll!“ Liest man dann auch die Kommentare auf den Internetsendungen, dann ist da nichts, was als störend oder diskriminierend gegenüber der Gebärdensprache geäußert wird. Auch der deutsche Michel hat anerkannt, dass es so etwas wie Gebärdensprache gibt und ist bereit, das in seinen Alltag einzupflanzen. Man muss sich schon wundern: Ausgerechnet das Coronavirus mit seinen Einschränkungen beschert uns Gehörlosen ein Stück Barrierefreiheit.

Natürlich, noch klemmt es bei einigen Umsetzungen. Bildausschnitte sind zu klein, Hintergründe zu unruhig, schlechte Ausleuchtung des Gebärdenraums, zuweilen auch nicht so mediale Gebärdensprachdolmetscherinnen, die nicht gut verstanden werden. Es sind Dinge, die kann man schrittweise nachsteuern. Was allerdings bisher völlig unverändert geblieben ist und damit auch unverständlich: Im Öffentlich-rechtlichen Fernsehen bewegt sich nichts, alles bleibt unverändert. Weder in der ARD, im ZDF, noch in den Dritten Programmen kann man in den linearen Nachrichtensendungen die Gebärdensprache entdecken. Dort beharrt man weiter auf der Behauptung, die Bevölkerung mag eine Einblendung der Gebärdensprache nicht. Wir wissen jetzt: Diese Behauptungen stellt sich als unwahr heraus. Damit wird nun sehr deutlich: Die Öffentlich-rechtlichen Fernsehsender WOLLEN es nicht. Es stellt sich jetzt eindeutig als Diskriminierungsfall dar, der bisher immer geltende Verweis auf Ausstrahlungen im Internet ist eine Farce. Denn es gibt noch immer große Gruppen in der Bevölkerung, die keine Ausstrahlungen im Internet empfangen können.

Das gilt vor allem für die gehörlosen Senioren, die mir gerade sehr leidtun. Sie zählen zur besonderen Risikogruppe, können sich nicht aus dem Haus bewegen, haben wenig Kontakt zur Außenwelt, weil sie nicht gut in der digitalen Welt unterwegs sind und die Öffentlich-rechtlichen Sender übermitteln ihnen auch keine Informationen – obwohl auch sie Gebühren an die Sender zahlen müssen. Diese Menschen sind gerade besonders benachteiligt und stark isoliert. Wir stehen dem machtlos gegenüber und das ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.

Wir erkennen gerade, dass eine solche Krise wie die Pandemie mit dem Coronavirus viele Dinge hervor und auch neue Einsichten bringt. Der Virus wirkt wie ein Katalysator, er beschleunigt Vorgänge. Es verändert sich vieles, manches zum Guten, aber eben auch nicht alles. Eine wichtige Erkenntnis bleibt: Wir sind nicht hilflos, wir können Hebel in Bewegung setzen, können Dinge zu unseren Gunsten verändern. Das ist eine sehr wichtige Erkenntnis, denn es bedeutet, unser Schicksal liegt in unseren Händen, nicht in den anderer Menschen. Nutzen wir das, packen wir es an!

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