Von den ‘Reinblütern, dem Propheten und den Brückenläufern’

Sie hatten es nicht einfach, die Brückenläufer. Sie waren nur wenige in ihrem Volk. Von vielen geachtet, teilweise auch hoch geschätzt, aber eben von einigen wenigen auch gefürchtet. Die Brückenläufer hatten eine besondere Gabe. Sie konnten kommunizieren, richtig gut. Meistens kamen sie von der Außenwelt und nisteten sich in der Innenwelt ein, konnten sich schnell eingewöhnen und auch mit der besonderen Kultur und Sprache der Innenwelt anfreunden, so dass sie schnell von den Einheimischen akzeptiert und als die ihrigen angenommen wurden. Klar, zuweilen gab es Situationen, wo sie ihre Herkunft nicht verbergen konnten. Das galt besonders dann, wenn sie abwogen und den Innenweltlern die Sichtweise der Außenweltler erklären wollten. Das mochten die Innenweltler nicht so gerne, denn die Außenwelt mit ihrer übermächtigen Kultur empfanden sie oft als übergriffig und störend.

Seit Generationen nun geht das schon so. Es war oft eine reflexartige und abwehrende Haltung, da sich die Innenweltler von den Außenweltler nicht akzeptiert fühlten. Es war das ohnmächtige Gefühl und die permanente Angst der Auslöschung ihres Volk mit Ihrer besonderen Sprache und eigenen Kultur. Diese permanente Angst hing wie ein seidenes Damoklesschwert über ihren Häuptern. Entsprechend suspekt begegnen sie allen Annäherungen der Außenwelt wie auch die Kontaktversuche der Brückenläufter zu dieser Außenwelt.

Ja, man kann schon sagen, diese Innenweltler waren ein schon eigenartiges Völkchen, auch ein sehr stolzes Völkchen. Diesen Stolz allerdings gilt es zu hinterfragen, denn worauf begründete er sich? Die Innenweltler waren keine reichen Leute, hatten oft nur eine einfache Bildung genossen und entsprechend gingen viele von ihnen einen einfachen Broterwerb nach. Das Besondere an diesem Volk war, dass sie ein Volk ohne eigenes Land waren, sie lebten inmitten der Außenwelt und arbeiteten auch für die Außenweltler, abends aber zogen sie sich zurück in ihren Innenwelt und gestalteten in mitten ihrer “Landsleuten” eigene Feste und hatten sogar eigene Sportmeisterschaften.

Ähnlich wie in der Außenwelt hat man dann auch in der Innenwelt Strukturen etabliert, so dass es auch dort quasi eigene Bürgermeister, Landesfürsten und – hab acht – einen König gab. Diese versuchten in jahrzehntelangen Verhandlungen und auch Kämpfen mit den Außenweltlern für ihr kleines Völkchen gleiche Rechte zu erzielen, so wie man das von den Außenweltlern her kannte. Jahrhundertelang wusste man von diesem Volk nichts, auch weil es unscheinbar innerhalb der Außenwelt darbte und man die Bedeutung der Sprache und auch der Kultur nicht (er)kannte. Erst neueste wissenschaftliche Untersuchungen belegten eine besondere Bedeutung vor allem der Sprache für die Außenwelt. Seitdem bemühen sich die Außenweltler, dieses besondere Völkchen zu respektieren und auch einzubinden.

Diese Versuche der Einbindung allerdings werden misstrauisch beäugt, zu sehr schmerzhaft sind die bisherigen Erfahrungen mit den Außenweltler. Über Generation wird davon berichtet und das weiter getragen. Über Jahrhunderte hat man daher versucht, den Einfluss der Halblinge zurück zu drängen und die Linie der Reinblüter zu stärken, denn diese sind ja auch die genetischen Erbträger der Sprache und der Kultur dieses Völkchen. Erst in den letzten Jahren ist es gelungen, dass auch die Könige von den Reinblütern gestellt werden und diese Linie soll auch in den nächsten Jahren halten. Denn aus Sicht der Reinblüter ist das auch nur folgerichtig, da sie und ihre Vorfahren die Sprache und Kultur über die Jahrhunderte gepflegt und weitergetragen haben. Wie stolz erzählen sie, in wievielter Generation sie schon sind und dass kein Halbling dagegen ankommt, da die meisten Halblinge von der Außenwelt kommen und sich den Gebräuchen der Innenweltler absolut unterwerfen. Der letzte Halbling als König stammt noch aus dem letzten Jahrtausend und wird noch heute hinter vorgehaltener Hand hoch gejubelt, auch wenn die Reinblüter das gar nicht so gerne sehen. Letztlich lassen sie dem heiligen Ularius seinen Ruhm gewähren, war er es doch, der die Sprache und Kultur der Singnoliere – ja, so heißt dieses Völkchen – bei den Außenweltler durchsetzte und für deren Anerkennung sorgte. Ihm folgten die tapfere Gerlindia als erste Frau auf dem Thron und alsbald auf ihr der blasse Alexarius. Bei beiden letztgenannten ist ihre Herkunft unklar, da der ihnen nachfolgenden eitle Rudolpho permanent darauf hinwies, er sei der erste der Reinblüter auf dem Thron. Wie der Beiname schon sagt, verstieg sich Rudolpho in vielen Träumen und gefährdete mit seiner großzügigen Art den Fortbestand des Reiches. Wie es die Geschichte so wollte, wurde der eitle Herr wieder abgewählt und der wackere Vogelius erklomm im Handstreich den Thron. Mit Ach und Krach konnte er den drohenden Untergang abwenden. Seitdem herrscht er mit eiserner Hand und strickt an seinen Legenden. Das Historische liebt er, entsprechend seine Vorzüge für die Traditionen. Er denkt, so kann er seinen Namen gut in die Geschichtsbücher golden verewigen. Seine Zeitgenossen würdigen seine Taten nicht, fühlen sich hier mit dem ewig gestrigen nicht so verbunden. Entsprechend sinnieren viele Signoliere, ob nicht eher ‘bieder’ der bessere Beiname für Vogelius wäre.

Die Reinblüter der Signoliere frohlocken, dass nun ihr oberstes Haupt einer der ihren ist und sie somit endgültig die Deutungshoheit über die Gebräuche und Sitten, über ihre Sprache und Kultur gewonnen haben. Für die Mehrheit der Signoliere aber, und das sind die Halblinge, war das nicht unbedingt eine gute Nachricht. So gut sie die Gebräuche und Sitten, die Sprache und Kultur finden und sich diesen auch gerne fügen, so widerwillig gefällt ihnen der Gedanke mit der Deutungshoheit. Im Wesentlichen liegt es daran, dass sie bewusst von der Aussenwelt in die Innenwelt geflohen sind. Sie taten das, weil sie sich von den Aussenweltlern nicht verstanden fühlten, auch wenn es deren Fleisch und Blut war. Nun waren sie neue Herren ausgesetzt. Da hätten sie auch in der Aussenwelt bleiben können, zumal ja die verwandschaftliche Bande noch immer da ist und sie oft auch dort die Aussenwelt besuchen, wenn auch zumeist bei Familienfesten.

Ein weiterer Punkte ist, dass die Reinblüter gerne in ihren eigenen Vorstellungeswelten schwelgen und schlichtwegs es mit Veränderungen und der Anpassung an die Moderne nicht so haben. Das spiegelt sich auch in ihrer ausdrucksweise wieder. Hätte, könnte, sei, müsste, sollte – all diese Worte wiederholen sich, wenn man ihre Schriften verfolgt. Es ist bezeichnend, dass es nur wenige Festlegungen oder konkrete Aussage gibt. Es scheint mehr Methode als Können zu sein, sich im Konjunktiv auszulassen. Ein expliziter Vertreter dieser Methode scheint der Prophet zu sein. Besonders dieser achtet streng darauf, dass alle regelkonform in der Linie bleiben, also konsequent die Sitten und Gebräuche achten und umsetzen. Da lässt er nichts darauf kommen. Er ist wohl auch deshalb besonders streng, weil er selbst ja auch “nur” ein Halbling ist und wie der Teufel das Weihwasser fürchtet, dass man hinter seiner Halbling-Herkunft kommen könnte. Man mag sich nun fragen, woher der Prophet seine Reputation zieht, zumal er auch nicht demokratisch gewählt ist. Er ist ein Einsiedler, der sich selbst bestimmt hat und sich mit seinen Schriften offenbart, wenn auch nur ausgewählten Signolieren. Diese wenigen stricken mit seinen Schriften Mythen und Legenden und halten sein Schild hoch. Man möchte meinen, dass der Prophet die reinblütigen Könige mag. Aber weit gefehlt. Mit seinen treuen Vasallen, besonders Hassfratze und Hetzkappe, werden die Fehler der Könige angeprangert und immer wieder leise Missgunst und Unfrieden unter das Volk gestreut, als ob die Absicht wäre, eine Revolution zu wagen und den Thron an sich zu reissen. Allerdings: Sie wissen nur zu gut, dass sie einem demokratischen Prozess nicht wirklich stand halten können, also säen sie weiter Hass und Verderben. Es ist alles, was sie können.

Kein Wunder auch entsprechend, wenn ihnen daher besonders die Brückenläufer verhasst sind, da diese ihre eigene Regeln verfolgen und häufig die vom Propheten und seinen Vasallen vorgelegte Linien verlassen. Die Brückenläufer verstehen sich als Bindeglied der Innen- und Aussenwelt. Ihre Name sagt es schon: sie überqueren ständig die Brücke der Innen- und Aussenwelt, um mit beiden Völkern zu sprechen, zu vermitteln, Trennendes zu überwinden, zu verbinden. Es sind ihre Träume und ihr Glaube, dass aus dem Besten beider Welten noch Besseres hervor kommt und sie dieser Verheißung folgen. Sie lassen sich weder von den Königen und deren Traditionen noch von dem Propheten und seinen Ideologien irritieren, verfolgen ihre Träume, weil diese tief aus ihrem innersten Herzen stammen und ihre Überzeugung ist.

Das kann man nicht immer sehen, mit dem Verstand nicht immer begreifen, was da von sich geht, was die Brückenläufer wirklich können und wollen. So bleibt zum Schluss der Geschichte nur ein Rat: Wenn auch der Verstand nicht immer will oder kann, dann folgt eurem Herzen, welches euch sicher den Weg weist!

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