… oder warum die Leichte Sprache keine Lösung für gehörlose Menschen ist
Zuerst wollte ich schreiben: “Sprache ist ein schwieriges Thema.”. Doch dann habe ich gestutzt und inne gehalten. Warum? Ich habe sofort das Gejaule vieler Menschen vor Augen, denen dieser Satz nicht gefällt. Sprach IST. Wie kann ich es wagen, so etwas zu behaupten und zu determinieren? Wer bin denn ICH schon? Also gut, die Rolle zurück. Ich ersetze das IST mit KANN und mache jetzt daraus: “Sprache KANN ein schwieriges Thema sein.” Und ergänze zugleich: “Sprache kann auch ein faszinierendes Thema sein.” Ist es nicht besser so? Im Zusammenschluss beider Aussagen kommt dann heraus, dass Sprache ein schwieriges und auch zugleich faszinierendes Thema sein KANN.
In letzter Zeit werde ich öfters auf die Kolumnen angesprochen und ich bekomme viel Zustimmung und Lob für meine Texte, die ich hier verfasse. Ich muss gestehen, es erfüllt mich mich stolz. Mir ist bewusst, dass meine Texte nicht immer leicht zu lesen sind und ich schon eine gehobenere Ausdrucksweise wähle. Ich tue das nicht um anzugeben oder mich als Besseres darzustellen und ich weiß, dass viele gehörlose Menschen meine Texte so nicht verstehen. Das ist keine böse Absicht. Denn: Meine Motivation ist eine andere. Wer mich aus meiner gymnasialen Oberstufenzeit kennt, weiß, wie schwer ich es mir mit Deutsch früher getan habe und ich viele 4 und 5 in den Deutsch-Klausuren eingeheimst habe. Meine Deutsch-Lehrerin hat zwar stets meinen freien Geist gewürdigt, aber das alleine macht kein gutes Deutsch aus. Ich muss zugeben, ich habe mich in Deutsch durch das Abitur gewurschtelt. In den Jahren darauf, in der Zeit meiner Ausbildung wie auch des Studiums habe ich nicht wirklich das Gefühl gehabt, dass sich meine Fähigkeiten und Kompetenzen darin verbessert haben. Erst im Laufe der letzten 15 Jahren mit der Gründung eines Unternehmens, das sich permanent mit Sprache auseinandersetzt, habe ich das Gefühl einer Verbesserung in meinen Deutsch-Kenntnissen. Die beruflichen Beschäftigung mit Sprache, vor allem mit der Gebärdensprache, führt nun dazu, dass ich heute mit sprachlichen Ausdrücken sowohl in Lautsprache, in Schriftsprache und auch in Gebärdensprache spielerisch umgehen und mich ausdrücken kann. Allerdings betrachte ich mich nach wie vor als reiner Anwender und zähle mich nicht zu einem Linguisten, der Sprachen wieder aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet.
Ich gebe zu: Meine Stärken liegen mehr im naturwissenschaftlichen Bereich. Mathematik oder Physik sind mir nie wirklich schwer gefallen, fielen mir spielerisch leicht zu. Anders war das mit Sprachen wie Deutsch oder Englisch, da half mir meine ausgeprägte Logik nicht wirklich weiter und das hat mich fasziniert. Hier musste ich mich richtig reinknien, um ähnliche gute Ergebnisse wie in den naturwissenschaftlichen Fächern erzielen zu können. Ich merkte zudem, dass ich mir aufgrund meines fehlenden Gehörs Sprache nur über das Lesen erschließen konnte und das vieles erschwerte. Nur dank Latein kann ich heute recht gut den Dativ vom Akkusativ unterscheiden und auch im Nachhinein beim Nachlesen meine Texte korrigieren. Beim ersten Schreiben dagegen verwechsle ich oft den Dativ mit dem Akkusativ, schreibe statt “er geht zu dem Mann” eher “er geht zu den Mann”. Bei Hörenden beobachte ich oft, dass viele von ihnen ein Sprachgefühl aus dem Hören heraus haben und vor sich her murmeln, wenn sie schreiben. Das ist etwas, was ich als gehörloser Mensch nicht kann, mir fehlt diese Form der (laut)sprachlichen Rückkontrolle. Dennoch kann ich mittels gelerntem Latein wie auch durch die Beherrschung von Gebärdensprachen nun ein gänzlichen anderen Zugang zu Sprachen gewinnen und quasi rekursiv auch die Kompetenz meiner (deutschen) Schriftsprache erhöhen.
Das ist der wesentliche Grund für mich, warum ich nun auch demonstriere, dass ich trotz meiner Gehörlosigkeit schreiben “kann” und mich in meinen Kolumnen austobe. Ich möchte damit zeigen, dass Gebärdensprache für mich eine große Stütze war / ist im Sprachen-verstehen und -lernen – und auch das, obwohl sich Lautsprachen von Gebärdensprachen diametral voneinander unterscheiden. Ich möchte damit auch zeigen, dass durch die Nutzung von Gebärdensprachen meine Kompetenz in der Lautsprache und deren abgeleitete Schriftsprache nicht schlechter wird, es ist eher sogar das Gegenteil.
Damit trete ich diesem alten und so falschen Irrglauben entgegen, wenn man sagt, “lassen sie bloß die Finger von der Gebärdensprache, denn sonst lernt der Junge nie richtig die Lautsprache”, den die Mediziner und Pädagogen jahrhundertelang mantra-ähnlich vor sich her trugen und vor allem Eltern gehörloser Kinder verängstigt haben.
Ich trete auch den Verfechtern der Leichte Sprache entgegen, wenn sie sagen, dass Leichte Sprache auch für gehörlose Menschen gut ist. Leichte Sprache ist primär für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht und wird auch von ihnen im Kontext mit der Barrierefreiheit für sich propagiert. Aber was ist Leichte Sprache? Schaut man sich die Erklärung aus Wikipedia an, sieht das ein bisschen anders aus. Dort heißt es, dass “Leichte Sprache … die selbstständige Informationssuche und damit Selbstbestimmung von erwachsenen Menschen verbessern [soll], die aus unterschiedlichen Gründen, vorübergehend oder dauerhaft, Probleme mit einem komplexen Satzbau haben und Fremdwörter nicht verstehen.” Aus diesem Verständnis heraus könnte man den Gedanken entwickeln, dass gehörlose Menschen eben auch zu dieser beschriebenen Gruppe gehören, weil sie Probleme mit dem Satzbau haben. Diese Erklärung greift zu kurz, basiert sie zu sehr auf dem Konstrukt von Lautsprachen und deren Schriftsprachen. Diese wiederum sind aber nicht anderes als eine Codierung der gesprochenen Sprachen, der Lautsprachen und diese sind aufgrund der fehlenden Sinneserfahrung des Hörens für gehörlose Menschen nicht erschließbar. Es wird schlicht übersehen, dass Sprachen mehr sind als nur Lautsprachen, als das gesprochene und/oder das geschriebene Wort. Schon die alten Griechen resümierten, dass erst das gesprochene Wort den Menschen zum Menschen macht. Dieses Gedankengut hat sich so tief in unseren Gesellschaften verankert, so dass bspw. andere Kommunikationsmodi wie eben die Gebärdensprache nicht als vollwertiges Konstrukt anerkannt werden. In Folge dessen werden dann auch Gehörlose nicht für voll anerkannt, wenn sie in Gebärdensprache kommunizieren. Denn für viele Menschen ist und bleibt es unvorstellbar, dass man mit Händen, Augen und Mimik genauso kommunizieren kann wie mittels Mund und Ohren.
Entsprechend werden wir Gehörlose immer mal wieder gefragt, ob es denn nicht ausreichen würde, wenn man mit uns in Leichter Sprache kommunizieren würde. Denn dann würde man im Sinne der Barrierefreiheit ressourcen-schonender arbeiten können, zumal auch Gebärdensprache wesentlich teurer ist und man dann wesentlich mehr Inhalte in Leichter Sprache anbieten können. Hinzu käme auch: Viele andere Menschen wie Migranten oder ausländische Besucher hätten auch Chancen das zu verstehen.
Letztlich denken solche Menschen auch, dass sie meinen, Leichte Sprache beherrschen sie und können es kontrollieren. Es ist anders als bei der Gebärdensprache, wo sie immer auf andere angewiesen sind, die ihnen die Inhalte der Gebärdensprache bestätigen müssen. So sehr ich das mit dem Kontrollverlust nachvollziehen kann, es ist dennoch kränkend. Aus all diesen Worten entnehme ich zum einen eine fehlende Vorstellung und Verständnis wie auch einen mangelnden Respekt für das Funktionieren der Kommunikation in Gebärdensprache.
Etwas anderes ärgert mich sehr: Es ist die Unterstellung, dass man mittels Gebärdensprache nicht in der Lage sei, abstrakte und wissenschaftliche Inhalte zu transportieren, sondern sich nur auf einfache und rudimentäre Inhalte konzentriert. Kein Wunder also, wenn man dann sogleich die Leichte Sprache herleitet, denn genau das ist ja dort der Fall: Inhalte werden erheblich gekürzt und viele wesentliche Elemente weggelassen, um lediglich Kernelemente darzustellen. Es schwingt in diesem Zusammenhang auch mit, dass man gehörlose Menschen mit Menschen mit Lernschwierigkeiten gleich stellt und sie entsprechend behandelt. Mit anderen Worten: Man hält uns Gehörlose schlichtweg für doof. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass das holländische Doven oder das englische Deaf mit dem deutschen Doof sprachverwandt ist und seinen Ursprung im tiefsten Mittelalter hat, wo der Gehörlose oft auch der Dorftrottel war.
Auch wenn im Prinzip mit dem Gleichstellungsgesetz auch die Gebärdensprache als vollwertige Sprache anerkannt wird, haben sich viele Menschen in unserer Gesellschaft in ihrem Innersten noch nicht von den mittelalterlichen Gedankengut gelöst. Es bedeutet für uns dann doch eine Verballhornung unserer Gebärdensprache, wenn sie einerseits anerkannt wird, andererseits sogleich wieder mit der versuchten Gleichstellung von Leichter Sprache in Frage gestellt wird.
Am Anfang sagte ich: “Sprache ist ein schwieriges Thema.”. Es ist richtig so. Ich werde also weiter solche Kolumnen schreiben und an die Gehörlosen appellieren, für unsere so wertvolle Gebärdensprache zu plädieren und zu kämpfen, bis auch der letzte Mensch aufgewacht ist und von der Versuchung der Leichte Sprache uns gegenüber aufhört.
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