Das schleichende Gift

In den letzten drei Jahren gab es ein Thema, mit dem man die Gehörlosen elektrisieren und die Säle garantiert voll bekommen konnte: GELD.

Genauer müsste man noch sagen: Gehörlosen-Geld oder Teilhabe-Geld. Landauf, landab, überall gab es Workshops, Seminare, Veranstaltungen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. Warum fahren die Gehörlosen so auf dieses Thema ab?

Wenn man genauer hinschaut, wird oft genannt, dass man einen Nachteilsausgleich zu der eigenen (Hör-)Behinderung haben möchte. Das gilt besonders in Hinblick darauf, dass man das Gefühl hat, dass hörende Menschen offenbar über mehr Geld verfügen und auch verdienen können, als es gehörlose oder behinderte Menschen je können. Hier schwingt mit, dass Gehörlose eine eingeschränkte Berufswahl haben. Gut erkennen kann man das in den Angeboten der Berufsberatung von der Bundesagentur für Arbeit. Man traut ihnen Vieles nicht zu oder spricht ihnen ab, bestimmte Leistungen erbringen zu können. Mit dieser eingeschränkten Auswahl an Berufsbildungsmöglichkeiten gehen geringe Aufstiegschancen und schlechtere Verdienstmöglichkeiten einher. 

Hinzu kommen auf der Ausgabenseite auch höhere Kosten, die hörende Personen so nicht unbedingt haben: Mehraufwand für zusätzliche technischen Geräte wie Hörhilfen, visuelle Kommunikationshilfen oder auch Kosten für Gebärdensprach-Dolmetscher. Viele dieser Kosten werden nicht als Nachteilsausgleich von der viel gerühmten Solidargemeinschaft übernommen, sondern bleiben dem Einzelnen selbst überlassen. Das gilt vor allem für den privaten Bereich. Ein Autokauf wird so für eine kommunikationsbehinderte Person oft zur Qual, eine Rechtsberatung fast unmöglich. Doch selbst im beruflichen Bereich, wo im Prinzip ausreichende Gesetze und Regelungen vorhanden sind, um die Nachteile ausgleichen zu können, fällt das Geld nicht wie Manna vom Himmel – auch wenn die Politik uns das gerne glauben machen möchte. Man muss hart für seine Rechte kämpfen. Viele behinderte Menschen scheitern an den bürokratischen Hürden, die Behörden auftürmen und geben verbittert auf. 

Das Gefühl der Bitternis wird dann noch verstärkt, wenn man erfährt, dann es hierzulande einige Bundesländer gibt, die ein sogenanntes Gehörlosen-Geld zahlen. Schaut man zudem über unsere deutschen Grenzen, erfährt man, dass Länder wie Frankreich oder Italien angeblich solche Summen zahlen, dass die dort lebenden Gehörlosen nicht unbedingt arbeiten müssen und mit diesem Geld über die Runden kommen können. Bei einem solchen scheinbaren Schlaraffenland kocht dann die deutsche Gehörlosen-Seele hoch und der pure Neid zerfrisst die wenige Vernunft auf.  

Geringere Einkunftsmöglichkeiten, höhere Kosten auf der Ausgabenseite: Diese Diskrepanz wird verständlicherweise als schreiende Ungerechtigkeit empfunden. Selbst gemäßigt gestimmte Gehörlose verwandeln sich ob dieser schreienden Ungerechtigkeit in Furien. Kein Wunder folglich, wenn man mit dem Thema Geld locken kann und das Thema bei gehörlosen Menschen zieht. Das galt besonders im Zusammenhang mit dem geplanten Bundesteilhabegesetz (BTHG), das von der Politik fast schon als „Wunderwaffe“ angepriesen wurde und versprach, dass viele Probleme behinderter Menschen damit gelöst werden können. So war es dann auch keine Überraschung, dass in dem Zusammenhang ein mögliches Teilhabe-Geld die Massen in Aufruhr setze und große Erwartungen damit verknüpft wurden. Viele erhofften sich dadurch eine Erleichterung der alltäglichen finanziellen Sorgen, so manch einer liebäugelte aber auch mit einem besseren Urlaub oder Auto. 

Was viele nicht im Blick haben: Mit diesem zusätzlichen Geld sollten die Kosten der Nachteilsausgleiche abgedeckt werden, bspw. die Übernahme der Kosten von Gebärdensprach-Dolmetscher. Es geht weniger um eine Art von Entschädigung für die alltägliche Diskriminierung von normalen gegenüber behinderten Menschen, für die tagtägliche Schlechterstellung und das erlittene Leid im Fokus. Ein solches Rechtsverständnis kennt unser deutscher Staat nicht. Entsprechend unwirsch reagieren Nicht-behinderten Menschen, wenn behinderte Menschen ihr Anliegen und daraus resultierenden Forderungen vortragen. Oft steht bei Nicht-behinderten Menschen eine Kosten-Nutzen-Abwägung im Vordergrund. Die geläufige Frage ist: „Was kostet es denn und wie viel bringt das denn?“. Wenn dann die Antwort lautet, die Kosten für Gebärdensprach-Dolmetscher eines eintägigen Parteitags betragen ca. 1.500 Euro, dann werden die Augen mehr als groß bei meinem Gegenüber und ich habe schon ein schlechtes Gefühl dabei, weil ich der Allgemeinheit auf der Tasche sitze. Dass eine reine Kosten-Nutzen-Abwägung hier nicht weiter führt, wird schnell klar. Denn dann müsste man sich fragen: Was ist der andere Mensch mir wert? Wie viel Geld müsste ich in einen behinderten Menschen „investieren“, damit er er sich „lohnt“? Wann ist die Gesellschaft zufrieden mit dem „Ertrag“, die ein behinderter Menschen abwirft? Die ganze Diskussion artet bei einer solchen nüchternen Betrachtungsweise in reine wirtschaftliche Abwägungen ab und kann keine zufriedenstellende Antwort geben, weil der behinderte Menschen diese Rechnung nicht gewinnen kann. Es ist eine Denke, die wir hier in Deutschland gut beherrschen und erklärt, warum behinderte Menschen es hierzulande schwer haben. 

Wir haben in Deutschland viele Gesetze, angefangen beim Grundgesetz, das besagt, dass niemand aufgrund seiner Behinderung diskriminiert werden darf bis hin zur UN-Konvention für behinderte Menschen, welche in 2009 ratifiziert wurde. Vom Grundsatz her beachtet Deutschland die Menschenrechte, nennt sich einen Sozialstaat und sorgt mittels der Solidargemeinschaft für einen Ausgleich der unterschiedlichen Bedürfnissen. Da die Bedürfnisse behinderter Menschen von den Betroffenen bislang noch nicht ausreichend vorgetragen wurden, herrscht hier eine Schieflage, weil in vielen Köpfen die Probleme behinderter Menschen nicht bekannt sind. 

Spricht man Menschen darauf an, stellt man schnell fest, dass sie der Meinung sind, behinderte Menschen werden gut versorgt und es fließt schon viel Geld in sie hinein. Es gibt sogar zuweilen die Vorstellung, dass behinderte Menschen soviel Geld bekommen, dass sie gar nicht arbeiten müssten. Umso größer ist die Verblüffung nun, wenn Behinderte weitere Forderungen stellen. Das gilt besonders für ein selbstbestimmtes Leben, welches nun mehr als die einer allumfänglichen Fürsorge kostet. Für Nicht-behinderte Menschen erscheint das Fürsorge-Modell klarer und übersichtlicher, spricht: einfacher. Man kann die Zahl der behinderten Menschen bestimmen und hat dafür einen Sockelsatz, mit der man ein menschenwürdiges Leben ermöglichen kann. Mit solchen Beträgen kann man arbeiten und sich arrangieren. Es beruhigt auch das allgemeine schlechte Gewissen, weil es einem besser geht als einem behinderten Menschen. Wenn nun über die abgezogenen Lohnsteuer damit einen Beitrag für die Solidargemeinschaft geleistet werden kann, dann ist das gut (und ausreichend). 

Selbstbestimmtes Leben dagegen aber ist individuell, aufwändiger und wesentlich unkalkulierbarer, weil die Bedürfnisse behinderter Menschen ermittelt werden müssen und das

zum Teil in anderen Dimensionen vorstößt, als das bisherige Verfahren, wenn man alle über einen Kamm schert. Es ist auch für behinderte Menschen anstrengender, müssen sie sich um mehr Dinge kümmern, müssen sich mit ihrer Behinderung auseinandersetzen und entsprechende Lösungen selbst entwickeln. Hierzu müssen dann behinderte Menschen auch befähigt werden. Ein großer Bildungsauftrag, bislang nur in Ansätzen gelöst. 

Wir sehen, es hapert an vielen Ecken und Enden. Wenn behinderte Menschen nun aufbegehren und sich mit der bisherigen Entwicklung beim BTHG nicht zufrieden sind, dann ist das schon nachzuvollziehen. Für Nicht-behinderte Menschen ist das ein schwieriges Thema. Am Einfachsten wäre es aus ihrer Sicht, es wird ein Sockelsatz bezahlt und dann haben die Behinderten „stille“ zu sein. Diese Vorstellung steht völlig konträr zu denen der gehörlosen Menschen, welche unbedingt auf ein finanziellen Nachteilsausgleich in Form von monatlichen Finanztransfers auf ihrem Konto pochen. Für mich stellen sich drei zentrale Fragen: 

(1) Würde ein solcher monatlicher Finanztransfer wirklich dazu führen, dass gehörlose Menschen sich am gesellschaftlichen Leben aller Menschen beteiligen und sich auf Augenhöhe mit anderen Menschen begegnen, so dass keine kommunikative Einschränkungen mehr existieren?

(2) Oder würden sich die gehörlosen Menschen komplett abkapseln und sich nur noch in ihrer eigenen Welt bewegen?

(3) Wenn ein solcher finanzieller Transfer vom Staat an behinderte Menschen erfolgt, welchen Beitrag muss dann der einzelne Bürger oder auch Behörden, Firmen oder weitere Organisationen noch leisten? Sind sie dann nicht eher „befreit“ von der Barrierefreiheit?

Geld mag in vielen Bereichen ein guter Lösungsansatz sein und führt dazu, dass wir Menschen inzwischen in vielen Ländern einen gehobenen Lebensstandard haben. Von diesem scheinbar gehobenen Lebensstandard profitieren aber offenbar nicht alle Menschen gleich. Das gilt besonders für behinderte Menschen. Geld führt in Bereichen, in denen offenbar eine Kosten-Nutzen-Abwägung und das Leistungsprinzip gilt, eher dazu, dass es Solidargemeinschaften „vergiftet“ und über Geld nicht zusammengeführt, sondern eher entzweit werden. Das Zusammenführen von behinderten und Nicht-behinderten Menschen stellt jetzt eine große Herausforderung für unsere Gesellschaft, für unseren Staat dar. Bisherige Lösungsmodelle greifen nicht. Es sind nun andere Lösungsansätze gefragt, die weit über die bisherigen monetäre Lösungsansätze hinaus gehen. 

Hier sind wir als Gehörlosen-Gemeinschaft als Teil von behinderten Menschen gefragt, unseren Beitrag zu leisten. Eine besondere Herausforderung besteht nun darin, sich von GELD als alleinigen Lösungsansatz zu lösen und ANDERS zu denken. Können wir das, uns von GELD lösen? Es wäre eine große Errungenschaft und reife Leistung unserer Gemeinschaft, wenn uns das gelingen würde. Wenn wir zeigen könnten, welche Lösungen dazu führen, wie wir einerseits als Sprachgemeinschaft weiterhin existent bleiben, anderseits es aber auch schaffen, Nicht-behinderte Menschen zu überzeugen, dass es sich „lohnt“, unserem Lebensmodell mit unserer Sprache zu akzeptieren, ja vielleicht auch zu adaptieren. In GELD sehe ich die Lösung nicht. 

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