Deaf Akademiker – alles paletti, oder?

Ich erinnere mich noch gut an dem Tag, als man mir in der Berufsberatung sagte, dass ich mit meinen guten Voraussetzungen auf das Gymnasium gehen sollte. 35 Jahre ist das nun her. Von Studium war damals noch nicht die Rede, aber was macht man in der Regel nach bestandenen Abitur schon? Die Welt steht einem offen und das Studium an der Universität übt einen großen Reiz aus.

Aber: Ein Studium stellt eine große Herausforderung für Gehörlose dar. Nur wenige schaffen das. Warum? Es bedeutet das Sich-Lösen aus dem Schonraum von der Sonderschule in die freie Welt. Viele große und unbekannte Schwierigkeiten treten auf. Der bisher strukturierte Tagesablauf fällt weg, man ist plötzlich völlig auf sich alleine gestellt. Hinzu kommen die vielen Probleme in der Kommunikation, die einem als Gehörlosen bis dato nicht so bewusst waren. Neben der Selbstorganisation für das Studium kommt zudem viel Arbeit und Zeitaufwand mit der Organisation für die Kommunikation dazu. Es gilt, einen Antrag zu stellen (wo?), um Geld (wie viel?) für Gebärdensprach-Dolmetscher (welche?) zu bekommen. Zudem bekommt man nicht für alle Bereiche Gebärdensprach-Dolmetscher zur Verfügung gestellt.

Oft fehlen einem die informellen Informationen, die zwischendurch von anderen Kommilitonen verteilt werden und man als Gehörloser nicht mitbekommt. Auch weil informelle Informationen den Charakter von Mund zu Mund haben und eine dritte Person wie ein Gebärdensprach-Dolmetscher als störend empfunden wird, da ja diese Person auch Zeuge sein könnten. Der vertrauliche und fast schon intime Moment von informellen Informationen geht da verloren. Das will niemand, lieber verzichtet man da auf die Weitergabe von Informationen – zum Leidwesen gehörloser Menschen.

Hat man alle diese Hürden geschafft und darf sich über einen Studienabschluss freuen, ist die nächste Hürde schon da: Wo kann man als Gehörloser mit seinen neu erworbenen Kompetenzen arbeiten? Und: Gibt man bei der Bewerbung an, dass man gehörlos ist? Man stellt fest, dass nicht viele Unternehmen die Bereitschaft haben, sich mit behinderten Akademikern auseinanderzusetzen. Behinderung oder Gehörlosigkeit, das klingt mehr nach Problemen als nach Lösungen. Von Akademikern will man aber schnell Lösungen, denn wozu haben diese studiert?

Es gehört viel Geschick und auch Glück dazu, einen Arbeitgeber zu finden, der sich auf das „Abenteuer“ mit gehörlosen Akademikern einlässt. Das gilt besonders dann, wenn man schlüssig zeigen kann, dass man die Kommunikation im Griff hat. In diesem Zusammenhang habe ich bspw. eine Regel für Team-Besprechungen eingeführt, die von allen Kollegen später gelobt wurde: Rede-Recht hat nur der, der auch den Ball hat. Trotz meiner Kommunikationseinschränkungen konnte ich also schnell zeigen, wie nicht nur mir, sondern allen geholfen wurde, weil mehr Disziplin in die Besprechungen rein kam. Innerhalb kurzer Zeit konnte ich mir schnell einen besonderen Status erwerben.

Meine geistreichen Einfälle oder auch meine Kompetenz haben dennoch Eines nicht verhindern können. Es fielen Sätze wie „Sie haben eine hohe Kompetenz, aber Sie können bestenfalls Stellvertreter, nie leitend werden. Sie wissen ja …“ oder „Ich kann Sie nicht auf den Kunden loslassen, der bezahlt viel Geld für Beratung, da geht das nicht mit der eingeschränkten Kommunikation“, die mir zeigten, dass ich in Unternehmen immer auch abhängig war von dem Wohlwollen meiner Kollegen und Vorgesetzten und es nicht allein nur um meine Kompetenz ging.

Irgendwann wurde mir klar, ich kann dieser Willkür/Abhängigkeit nur entgehen, wenn ich mich selbständig mache, wenn ich mein eigenes Unternehmen gründe. Als Experte in eigener Sache hatte ich schnell Erfolg, konnte mich sogar in den kommunikationsintensiven Bereichen wie Marketing und Vertrieb durchsetzen. Aber auch hier gab es Momente, wo man ins Grübeln kommt, wenn es plötzlich heißt: „Wieso wollen Sie Geld verdienen? Sie sind doch behindert und da bekommt man doch Zuwendungen vom Staat. Reicht ihnen das nicht?“.

In anderen Momenten bekam ich das Gefühl, es ist anderen Menschen unerträglich, wenn ein gehörloser Mensch ihnen gegenüber steht, mit ähnlicher Qualifikation, mit hoher Kompetenz. Man kann argumentieren, wie man möchte, der Gegenüber findet immer irgendwelche noch so fadenscheinige Argumente, man steht wie vor einer Mauer und dringt nicht durch. Welche Lösungen bieten sich hier an, um diese Barrieren in den Köpfen zu begegnen, ohne zu resignieren oder gar daran zu scheitern? Es handelt sich zweifellos um Diskriminierungen. Aber um hier bspw. rechtlich vorzugehen, braucht man harte Fakten und das ist oft schwer zu beweisen. Hier bleibt oft nur Geduld und wieder Geduld, Beharrlichkeit, an der Sache bleiben.

Hilfreich könnte sein, sich Verbündete zu suchen, die einem Nahe stehen, aber auch den Diskriminierer kennen, um dann gemeinsam ihm bewusst zu machen, dass er unsachlich ist und diskriminiert. Hier ist gute Überzeugungsarbeit gefragt. Meine Erfahrung zeigt, dass dies auch in der Rolle als Außenstehender gelingen kann. Natürlich ist das nicht einfach und es gehört viel Mut und Selbstbewusstsein dazu, aber Hartnäckigkeit wird oft auch belohnt!

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