Können wir Gehörlose Demokratie?

So, es ist passiert: Das Bundesteilhabegesetz (BTHG) wird zum 01. Januar 2017 in Kraft treten. Am 01.Dezember hat das Gesetz den Bundestag passiert und es ist kaum zu erwarten, dass der Bundesrat dieses Gesetz noch verhindern wird. 

Mehr als drei Jahre haben viele unterschiedliche Gruppierungen in der Behindertenszene sich für ein gutes Gesetz eingesetzt, haben viele Vorschläge eingereicht, Stellungnahmen abgegeben, haben viel Herzblut und ehrenamtliche Arbeit geleistet. Es wurden Vertreter der unterschiedlichen Behindertengruppierungen eingeladen, um gemeinsam mit der großen Politik und den gesetzesverfassenden Ministerien an diesem neuen Gesetz zu stricken. In der Politik und von den Bundesbehörden wurde leider nur wenige dieser vielen Aspekte bei dem neuen Gesetz berücksichtigt. Während sich die großen Parteien sich für ein gelungenes Gesetz feiern, ist bei den behinderte Bürgern ist die Ernüchterung groß. 

Auch für uns gehörlose Menschen werden nur wenige Verbesserungen vorzufinden sein, die uns die gesellschaftliche Teilhabe erleichtern wird. Nach jetzigem Stand ist sogar zu erwarten, dass keine signifikante Verbesserung für unsere Gruppe eintreten wird. Es wird weiterhin so sein, dass wir Anträge stellen müssen, wenn wir Gebärdensprach-Dolmetscher brauchen und ein Sachbearbeiter wird das individuell prüfen. Von einer selbstverständlichen Teilhabe sind wir also noch weit weg. 

Es ist mehr als ärgerlich, dass wir hier keinen wesentlichen Schritt weiter gekommen sind und wieder Jahre dauern wird, bis hier wieder Bewegung rein kommt und wir Gehörlose auf ein Gesetz hoffen können, das unseren Bedürfnissen und Anforderungen gerecht wird. In der Zwischenzeit dürfen wir nicht nachlassen und einfach nur warten. Es ist jetzt wichtig, dass wir Gehörlose uns mit anderen behinderten Menschen zusammen tun und aktiv in die gestaltende Politik eingreifen. Es ist wichtig, gemeinsam zu überlegen, wie wir hier strategisch vorgehen können, denn wir sind nicht wenige Bürger. Das sollten wir immer vor Augen halten.    

Was aber nicht minder wichtig ist: Nicht nur der Zusammenschluss übergreifend mit anderen Behinderten ist bedeutsam, auch innerhalb unserer Gehörlosen-Community ist das sehr wichtig. Es mag sein, dass der Deutsche Gehörlosen-Bund (DGB) und seine zugehörigen Landesverbände nicht immer glücklich agiert haben, und wohl auch den Druck von der Kölner Arbeitsgruppe Sign Teilhabe oder von der gehörlosen Aktivistin Julia Probst benötigt haben, um aktiver zu werden. 

Aber zuletzt haben die Mannen um DGB-Präsident Helmut Vogel sich viele Beine heraus gerissen und sich in der Behindertenszene gut vernetzt. Auch wenn das nicht mehr viel ergeben hat, dann lag das nun aber nicht an ihm und seinem Team, sondern schlicht darin, dass die Behörden und die Politik kein wirklich großes Interesse an den Positionen der diversen Behindertenverbände hatten und viele Aspekte von ihnen ignoriert haben. Insofern ist es wenig hilfreich, wenn nun einzelne Gehörlose auf die Verbände, deren Funktionäre oder Aktivisten losgehen und herum pöbeln, wie wenig das alles gebracht hat und wie schlecht sie sich vertreten fühlen. 

Es ist einfach, sich zu Hause im Sessel zurückzulehnen und mit einem Mausklick zu kritisieren. Es ist ungleich schwerer, sich aktiv einzubringen, sich zu verabreden, zu verbünden, sich abzusprechen, auch mal die Meinung anderer zu akzeptieren, auszuhalten, auch mal zu streiten. Das geht oft auch nur, wenn man die eigenen vier Wände zu Hause überwindet und den realen Kontakt zu anderen Gehörlosen sucht und mit ihnen gemeinsam aktiv wird. Das ist ein demokratischer Prozess. Das will gelernt sein, das will gepflegt sein. Das geht aber nicht, wenn man nur zu Hause in den eigenen vier Wänden schmorrt und über das Internet die Welt nur virtuell betritt. Es sind schnell Worte getippt, die man so niemals von Angesicht zu Angesicht sagen oder gebärden würde. 

Das sind jetzt nicht typische Probleme von uns Gehörlosen, die haben Hörende auch. Aber wir sind eine viel kleinere Gemeinschaft, die auch leichter zerbrechen kann, weil wir uns alle mehr oder weniger kennen. Um so wichtiger ist es, Worte mit Bedacht zu wählen. Wichtig auch, weil wir uns alle brauchen, wenn wir bessere Gesetze wollen und dadurch besser leben können.  

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